Top-Sharing: Geteilte Führung

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Bernhard Einsiedler fragt: „Kann Jobsharing in Führungspositionen funktionieren?" Und gibt auch sofort Antwort darauf: „Eigentlich klar: go for it!?" Die Idee ist ja einfach und einleuchtend: 

Wenn zwei MitarbeiterInnen einen Job untereinander aufteilen können - seit langem unter dem Begriff „Job Sharing“ geläufig- , müsste das bei Führungsjobs doch auch gehen. Also ein partnerschaftliches Führungsmodell zu haben, bei dem zwei oder sogar mehrere Teilzeit-Führungskräfte die Führungsverantwortung oder zumindest Teile davon gemeinsam tragen.

Die Attraktivität aus Mitarbeitersicht ist völlig klar: ermöglicht „lebensphasengerechte Gestaltung der Erwerbsarbeit“ (wie die Industriellenvereinigung in Österreich das formuliert). Also das, was vor allem eine neue Generation ambitionierter Menschen sich immer vehementer holt: das eigene Leben vielfältig gestalten, sich nicht mehr einem starren  Job-Diktat unterwerfen und jeden Abend tot zu Hause aufs Sofa fallen. Aber auch ältere Führungskräfte können in echte Altersteilzeit gehen und ihr Wissen besser weitergeben, Neu-Eltern in Elternteilzeit (am Ende sogar womöglich auch Männer!), beide, ohne ihre bisherigen erfolgreichen Job zu verlieren und wie so oft zum überqualifizierten Verrichter anspruchsloser Tätigkeiten zu werden. Mehrfach-Interessierte können unterschiedlichen Jobs nachgehen. Andere schlicht: aufhören, ein Leben mit 60 Stunden-Arbeitswoche abzuspulen.

Top Sharing 1

Aber auch fürs Unternehmen ergibt sich ein ganzer Reigen an neuen Möglichkeiten:

  • Aufgebaute Humanressourcen halten, die sonst für Führung verloren wären
  • Arbeitsmarkt-Potenzial für Führung besser nutzen (z. B. eben längere Aktivzeit Älterer)
  • Keine Begrenzung von Führungspositionen auf +/- 40 Std.-Std. Einheiten, da ja 2 oder 3 Top Sharer in Summe z.B. 60 oder 80 Std. in der Woche leisten können
  • Vertretungsmöglichkeit und KnowHow gesichert haben im Krankheits-, Urlaubs-/Trennungsfall
  • Role models haben auf Top-Ebene, die Arbeitsflexibilisierungsvorteile vorleben und dadurch auch auf den Ebenen darunter die Flex-Angebote des Unternehmens vom Papier in die Praxis holen

In USA sind bereits erste Fälle dokumentiert, in denen Führungs-Duos, die sich gefunden haben, gemeinsam für neue Jobs anheuern, also mit einem einzigen Lebenslauf auftreten.

Und: Arbeitsteilung ist ja wohl ein anerkanntes Prinzip der modernen Ökonomie, wir teilen seit Generationen Fach- als auch Führungsarbeit in Organisationen auf.

Also: Wo ist eigentlich das Problem? Wieso haben wir dann nur eine Handvoll Top-Sharer in Österreich, und selbst die „sind uns eher passiert“, wie ein HR-Direktor eines großen österreichischen Unternehmens ehrlich zugibt.

Überholte Führungsbilder erzeugen mentale und soziale Barrieren

Wie so oft sind mal wieder wir selbst in erster Linie unser begrenzender Faktor. Viele von uns haben ein verstaubtes Bild von Führung im Kopf, das womöglich besser in die Zeit Alexanders des Großen passt als in unsere heutige Arbeitsumgebung: Muss alle Herausforderungen allein bewältigen können, muss sich jede Menge zumuten (und zumuten lassen),  muss sich beweisen, muss immer da, erreichbar und unter Strom sein, muss, muss auf jeden Fall ganz viel.

Solch ein Bild haben ja nicht nur viele Führungskräfte, sondern gerade auch viele MitarbeiterInnen in den Köpfen.

Diese Führungsbilder sorgen für die mentalen Barrieren, die es dann schwer machen, jemandem zu erklären - ohne dabei im Ansehen des anderen zu sinken - dass man noch ein Leben neben dem Job hat. 

Wäre und ist natürlich überhaupt kein Problem, wenn dieses Leben mit respektablen Sachen gefüllt ist. Zum Beispiel ein Aufsichtsratsmandat, zum Beispiel eine anspruchsvolle Beratertätigkeit oder andere Tätigkeiten, die Meilen und Kohle bringen.

Top Sharing 2

Tatsächlich gibt es viel mehr Teilzeit-Führungskräfte, als man zunächst vermutet. Vor allem in Top-Positionen. Fallen aber nicht so sehr als solche auf, weil sie den Rest der Zeit, in der sie meist auch gar nicht so einfach erreichbar sind, was „echt Wichtiges“ machen.  Wer dennoch für Sachen wie Kinder, Pflege Angehöriger oder gar Hobbys wie etwa die eigene Partnerschaft oder Freunde Zeit bereitstellen will, muss mit dem Neid der anderen rechnen, die „sich das nicht herausnehmen“.

Deshalb: wer diesen so einleuchtenden und pragmatischen Schritt gehen und in einer verantwortlichen Position seinen Job aufteilen und also nicht einsehen will, dass nunmal jeder anspruchsvolle Führungsjob wundersamerweise immer zwischen 60 und 70 Wochenstunden erfordert und diese von genau einer Person, der sollte vermutlich sehr genau die Liste der wichtigsten Erfolgsfaktoren kennen und aktiv managen, um seine Nicht-Einsicht erfolgreich umsetzen zu können:

Erfolgsfaktoren

  • die Freiwilligkeit und der unbedingte Wille der Top Sharing-Partner „to make this work“
  • Klare Definition, welche Verantwortlichkeiten gemeinsam und welche geteilt wahrgenommen werden
  • Offene Rückendeckung für das Modell von höherer Ebene
  • Definierter und kommunizierter „Code of Conduct“: wie ist mit den sharenden Führungskräften von allen Seiten (Mitarbeiter, Kollegen, Vorgesetzte) umzugehen
  • Punktgenaues, präzises Info-Sharing zwischen den TopSharing-Partnern auf der hard-facts-Ebene
  • „Overcommunication“ auf der soft-facts-Ebene
  • Regelmäßige „Psychohygiene“ der Top Sharer untereinander: Professionelles gegenseitiges Beziehungs-Feedback, um „kein Wasser reinzulassen“
  • Die Bewertungen, die auf der Zeit, die ich „nicht arbeite“, liegen, meinem Umfeld bewußt machen

Persönliche Voraussetzungen

Es gibt aber auch Voraussetzungen auf der Persönlichkeitsebene. Für ein erfolgreiches Top Sharing sind vor allem notwendig oder zumindest sehr hilfreich:

  • Geringe Status- und Profilierungs-Bedürfnisse
  • Neigung und Fähigkeit zu systematischem Vorgehen und Planen
  • Fähigkeit zu vertrauen, dass ein anderer vernüftige Entscheidungen trifft, auch wenn ich anders entscheiden würde
  • Selbststarter-Eigenschaft

Seriöse Persönlichkeits- bzw. Präferenzprofile sind sehr gut geeignet, um sich als Top-Sharing-Partnern eine klare Sprache und ein besseres Verständnis für die Verhaltensweisen, Haltungen und Präferenzen des anderen zu erarbeiten.

Aufgaben von HR bzw. der Geschäftsführung

HR oder /und die GF können auf zwei Ebenen unterstützen:

  1. indem sie für eine unternehmensweite Verankerung des Themas sorgen (mit Hilfe eines Kulturveränderungsprozesses)
  2. indem sie einen klaren Prozess auf Einzelfallebene vorgeben, was wer zu tun und zu prüfen hat, um zu einer fundierten, nachvollziehbaren, nicht von mentalen Barrieren des Vorgestzten gefärbten Entscheidung zu kommen

Sonst werden wir wohl auf absehbare Zeit über einzelne Glücksfälle nicht hinaus kommen und das Potenzial für Unternehmen wird erst einmal weiter ungehoben bleiben.  Glücksfälle deshalb, weil es ein  Glück ist, dass mutige Menschen in Organisationen sich nicht von alten mentalen Zöpfen aufhalten lassen und den oft mühevollen Kampf dagegen auf sich nehmen. Ich wünsche mir mehr soche Menschen in Unternehmen. Ist das nicht eh die ureigene Aufgabe von Führung, alte Zöpfe abzuschneiden und mutig voranzugehen?

Übrigens: Viele Top Sharer und Teilzeit-Führungskräfte berichten, dass sie durch diese Erfahrung ihre Führungsskills aufgrund der speziellen  Anforderungen noch einmal wesentlich verbessern konnten, vor allem in den Bereichen team play, alignment und Effizienz.

Tags: Management & Leadership Führung