Management / Projektmanagement - ein alter Hut?

Veröffentlicht am .

Was genau hat der Steffl mit Projektmanagement zu tun? Ulli Brezovich erklärt dies in einem Ausschnitt aus einer Kurzanalyse über die Geschichte des Projektmanagements.

Der folgende Ausschnitt wurde für den Beitrag »Gab es Projektmanagement nicht schon immer? Eine historische Kurzanalyse« von Ulli Brezovich, Christian Majer und Andreas Nachbagauer zur Ehrung von Brigitte Schaden (PMA) geschrieben. 

Fallbeispiel I: Kathedralen im Mittelalter

Bei der Betrachtung der Baukunst im Mittelalter stellt sich die Frage, wie so gewaltige Bauwerke wie die schweren romanischen Dome und die grazilen gotischen Kathedralen errichtet werden konnten. Der Kirchenbau war der umfangreichste Bauauftrag in der damaligen Zeit. Das christlich geprägte Mittelalter hat die Erschafung der Welt und die Ordnung des Kosmos bevorzugt in Bauvorstellungen erfasst und Kirchenbau als Abbild des Kosmos begrifen.

Der Stephansturm ist das unbestrittene Hauptwerk der gotischen Architektur Österreichs. Die Anfänge des Domes gehen auf das Jahr 1137 zurück. Die erste Kirche wurde 1147 fertiggestellt. Von 1230 bis 1245 entstand ein weiterer spätromanischer Bau, von dem noch die Westfassade erhalten ist. Mehr als 300 Jahre wurde am Stephansdom gebaut. Nach seiner Fertigstellung im Jahr 1433 stand in Wien der höchste Turm Europas. Der Riesenturm wurde trotz der Höhe von 137 Metern und trotz der während des Baues auftretenden Schwierigkeiten in weniger als 82 Jahren vollendet. Gleichgültig von welcher Seite man sich St. Stephan nähert, immer fällt die Harmonie von Kirchengebäude und Turm zu einem einheitlich geschlossenen Baukörper besonders auf. Daraus entsteht die berechtigte Vermutung, dass ein ursprünglich vorliegender Gesamtplan allen späteren Baumeistern als Vorlage gedient haben konnte (Binding 2005).

TurmspitzeDie Architekturzeichnungen von St. Stephan aus dem Spätmittelalter sind einzigartig: Von keinem gotischen Dombau in Europa hat eine derart große Zahl von Planrissen auf Pergament und Papier die Jahrhunderte überlebt. Die Planzeichnungen stammen von den berühmtesten Baumeistern der Zeit. Ausgeführt wurde das Werk von unzähligen Handwerkern und Hilfskräften, die von weither nach Wien strömten, und das in einer Zeit, als Europa von Umweltkatastrophen, Epidemien und Kriegen heimgesucht wurde. Die Anfänge und das Aussehen der Stephanskirche im 12. Jahrhundert sind kaum zu rekonstruieren. Wer jedoch für diesen ersten Bauplan verantwortlich war und wer letztlich der Initiator des großen Bauvorhabens war ist bis heute nicht geklärt.

Bei genauerer Untersuchung der Baukunst im Mittelalter zeigt sich, dass es hinsichtlich der Funktionen Auftraggeber, Projektleiter, Sponsor etc. schon eine klare Unterteilung gab (Binding 2005). Als Auftraggeber fungierte ein theologisch gebildeter oder weltlicher, häuig politisch einlussreicher Bauherr, von dem die Bauabsicht stammt und der die Bedeutung bestimmt. Der Bauherr oder in seinem Auftrag und in seiner Stellvertretung der Bauverwalter mussten die Grundvoraussetzungen für den Bau errichten: von der Beschafung des Geldes und des Baumaterials, dem Transport des Materials zur Baustelle bis zur Anwerbung und Bereitstellung der ausführenden Bauleute (im Sinne von Projektteammitglieder und -mitarbeitern).

Die Zweiteilung der Leitungsfunktion einer Großbaustelle ist deutlich zu erkennen. Es gibt einerseits den technischen Bauleiter, der als erfahrener Handwerksmeister auf der Baustelle mitarbeitet, und andererseits den administrativen Bauleiter, der für die Finanzverwaltung und Organisation zuständig ist und aus dem Konvent oder Rat für die ein- oder mehrjährige Tätigkeit in das Amt gewählt wird. Das ist seit karolingischer Zeit durch das ganze Mittelalter nachweisbar (Binding 2005).

  1. Der Theologe oder Laie, dem als Funktionsträger die Bauverwaltung, längerfristig oder jährlich wechselnd, übertragen wird und dem als Leiter der Bauhütte die Vermögensverwaltung, Materialbeschafung und Rechnungslegung oblag. Er wird magister operis (Baumeister) oder provisor fabricae genannt (administrativer Projektleiter). Aus der Baukasse wurden alle durch den Bau unmittelbar oder mittelbar entstehenden Kosten bestritten.

  2. Der handwerklich geschulte Kunstfertige (ebenfalls magister operis genannt), der Werkmeister, der die technische Bauerstellung und die Konstruktion bestimmt und das Bauwerk ausführen lässt (fachlicher Projektleiter), war ein Maurermeister oder Steinmetzmeister. Dieser hatte zumeist schon auf zahlreichen größeren Baustellen Erfahrungen gesammelt. Besonders deutlich wird dies aus einer Darstellung des Gervasius von Canterbury, der 1185 als Augenzeuge über den Wiederaufbau der Kathedrale von Canterbury nach dem verheerenden Brand berichtet: „Inzwischen suchten die Brüder Rat,
    wie und nach welcher Maßgabe der Vernunft die niedergebrannte Kirche wiederhergestellt werden könne, aber sie fanden ihn nicht. (…) So wurden Kunstfertige (artiices) aus Frankreich und England zusammengerufen, aber selbst die stimmten nicht überein beim Ratgeben. (…) Es kam aber unter den anderen Kunstfertigen einer aus Sens, Wilhelm mit Namen, ein ausgesprochen tüchtiger Mann, in Holz und Stein ein ganz besonders Kunstfertiger. Diesen nahmen sie, indem sie die anderen fortschickten, wegen der Lebhaftigkeit der Erindungsgabe und wegen des guten Rufes in das Werk auf.“

Am Beispiel des Stephansdoms ist zu erkennen, dass die inanzielle Last in erster Linie von bürgerlichen Stiftungen, Einkünften aus Grundbesitz und vor allem Ablassgeldern getragen wurde. Über mittelalterliche Urkunden lässt sich ein massives Ansteigen der Spenden von Wiener BürgerInnen für St. Stephan ab etwa 1300 belegen, wobei die Stifter vorerst explizit den Chorbau fördern wollten. Auch zahlreiche Ablassurkunden, speziell für dieses Bauvorhaben verfasst, wurden mitunter von einer ganzen Reihe von Erzbischöfen und Bischöfen gemeinsam ausgestellt.

Schon im Mittelalter wurde diskutiert, wie viel der Projektleiter vom Fach verstehen muss. Thomas von Aquin schreibt 1269 in Paris in seinen „Quaestiones de quodlibet“: „Es muss aber bedacht werden, dass bei jedem beliebigen Kunstwerk in einfacher Weise derjenige, der in Bezug auf das Kunstwerk Anweisungen vornimmt (…) besser ist als irgendein Handwerker, der an dem Werk ausführend handelt gemäß dem, was ihm von einem anderen angewiesen wird, weshalb zum Bau von Gebäuden derjenige, der Anweisungen bezüglich des Gebäudes vornimmt, wenngleich er nichts mit den Händen arbeitet, sich um einen höheren Lohn verdingt als die handwerklich Kunstfertigen, die Hölzer bauen und Steine schlagen.“

Entsprechend lästert der Franziskanermönch Nicolaus de Biard 1261: „Die Maurermeister (…) sagen zu den anderen: Schlage mir dieses, und sie arbeiten nicht; und dennoch erhalten sie einen größeren Lohn. So tun es viele heutige Prälaten (...) einige arbeiten nur mit dem Wort. Bemerke: Auf diesen großen Bauten plegt ein Hauptmeister zu sein, welcher nur durch das Wort anordnet; selten oder niemals legt er Hand an, und doch erhält er einen höheren Lohn als die anderen. So gibt es viele in der Kirche, welche fette Stellen haben (…) Sie arbeiten in ihr nur mit der Zunge und sagen: So müsst ihr es machen, und machen selbst nichts davon.“

Für die Planung waren die Baumeister verantwortlich, unter ihnen legendäre Persönlichkeiten der Wiener Geschichte wie etwa Hanns Puchsbaum. Es gab Verträge zwischen Bauauftraggeber und Bauverwalter (Finanzverwalter) und Baumeister, die Vereinbarungen über Gebäude, Konstruktion, die Durchführung, die Vorbereitung und die Anordnung zur Errichtung der Kirche beinhalteten. Diese enthielten Vorgaben zur Arbeitszeit, z.B. zwischen 29. September und Pingsten; Gehaltsregelungen und Zusätze wie „der Baumeister darf an der Tafel des Abtes sitzen“ etc.

Für die praktische Umsetzung zuständig war der «Parlier», an der Ausführung arbeitete ein Heer an Steinmetzen, Maurern und anderen Handwerkern. Die Bauhütte von St. Stephan, für Organisation und Durchführung der Kirchenbaustelle verantwortlich, war international vernetzt und hatte  enormes Ansehen. Die Bauhütten entwickelten sich aus dem romanischen Kirchenbau durch Mönche hin zum organisierten Bauablauf gotischer Kathedralen, der unterschiedlichste Handwerke umfasste. Von besonderer Bedeutung war die qualiizierte Ausbildung der gotischen Bauhütte, die in Lehrlinge, Gesellen und Wandergesellen, Kunstdiener, Laubhauer, Parliere, Steinbildhauer und Meister unterschied. Die Bauhütte stand unter der obersten Leitung und Aufsicht eines oder mehrerer „Baumeister“ und hoher Verwaltungs- und Finanzbeamter. Die Bauhütte war nach heutigen Maßstäben ein Unternehmen.

Die Dauer der Abmachungen bzw. Verträge beim Kathedralenbau erstreckte sich bis zur Fertigstellung der Kirche. Es gibt keine Hinweise auf Erfolgskriterien oder Zeitpläne und auch keine konkreten Meilensteine, sondern nur Festlegungen wie „als erstes wird der Chor gebaut- Es wurden Rahmenbedingungen vereinbart und es gab auch gewisse „Vorplanungen“ wie den Ankauf von Steinbrüchen, Klärung von Transport- und Zollfragen sowie Anwerbung von Arbeitern. Was fehlte war eine klare Zeitplanung. Es wurde offenbar mehr situativ entschieden als lange geplant. Am Beispiel des Stephansdoms sieht man gut, dass der Bauprozess in Abschnitten erfolgte: Grundsätzlich ließ man den alten Bau möglichst lange stehen und schuf zunächst die Außenmauern, aber nur soweit, dass das Abbruchmaterial noch gut abtransportiert werden konnte. Teilweise wurden die „Kirchenprojekte“ überraschend schnell fertiggestellt, in nur wenigen Jahren. Andere dauerten Jahrzehnte oder Jahrhunderte – ein Paradebeispiel hierfür ist der Kölner Dom.

Ein tiefgreifender Strukturwandel und die durch die Prosperität immer zahlreicheren und umfangreicheren Bauaufträge führten im Zusammenhang mit der Verteuerung der Arbeitskräfte auf den Baustellen in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts zu einer Vielzahl von Innovationen: Um 1230/1250 wurde die maßstäbliche Bauzeichnung erfunden, die Bauglieder wurden systematisiert und vereinheitlicht. Dieses wiederum war die Voraussetzung dafür, dass Quader und Gliederungsformen seriell produziert werden konnten und sich ab 1215 das geometrisch bestimmte Maßwerk entwickelte.
Das Strebesystem im Skelettbau und der Baukran mit Laufrad wurden eingeführt. Alle diese Erindungen gingen einher mit dem Bau der großen gotischen Kathedralen.

Diese Neuerungen in der Bautechnik führten schließlich zu einer Revolutionierung des Baubetriebs auf unterschiedlichen Ebenen: Man kann eine
zunehmende Arbeitsteilung zwischen Arbeitern des Steinbruchs, des Transports,  den Steinmetzen, Mörtelmischern, Maurern und Handlangern vermuten, wie dann später z.B. aus den Akten zum Mailänder Dom ganz deutlich hervorgeht. Zunehmend wurde auch Arbeitskontinuität möglich wie das Arbeiten im Winter. Die neuen Methoden machten es notwendig, dass eine hinreichend regelmäßige Finanzierung erfolgte. Die Formen der Finanzierung bestimmten wiederum Baugeschwindigkeit und Kontinuität. Über die Koordinierung der Arbeitsvorgänge gibt es kaum Schriftsätze, man kann sie aber z.T. aus den Bauten ablesen. So haben z.B. die Reimser Steinmetzen offenbar in großer Quantität Steine vorgefertigt und zwischengelagert, ohne sich groß um die Probleme, die dann beim Versatz auftreten können, zu kümmern. In den späteren Baukampagnen ging man dazu über, die Steine mit Versatzmarken zu kennzeichnen.

Wie haben sich nun die Planungsmethoden entwickelt? Noch weit bis ins 12. Jahrhundert hinein hat der Architekt eine Skizze oder ein Modell geliefert, dann hat man den Grundriss abgesteckt und die wichtigsten Niveaus des Aufrisses festgelegt, während die Detaillierung dann erst im Laufe der Arbeiten erfolgte. Das hieß, dass der Architekt viele Einzelheiten „in seinem Kopf herumtrug“, sodass man ihn auf der Baustelle nicht entbehren konnte. Die neuen Produktionsmethoden revolutionierten dann auch diese Planungsmethoden. Schon die extensive Vorfertigung der proilierten Bauglieder verlangte deren genaue Festlegung vor Beginn der Arbeiten statt in deren Verlauf. Dadurch wurde die Zeichnung zum grundlegenden Planungsmedium. Die Stellung der Architekten veränderte sich und wurde durch ihre neue „Reißbrett-Tätigkeit“ von der Baustelle weg ins „Büro“ verlagert.

Tags: Management & Leadership