People first – statt Leute für Jobs
#Beratungssplitter Nr. 57
Oder: Warum Römische Mauern besser sind als Ziegelmauern
von Reinhard Bacher
»Lange Liste an Mangelberufen«, »Ergreiferprämie für fähige Köpfe«, »Auftragsstau durch Personalmangel« – kein Tag vergeht ohne derartige Schlagzeilen in den Medien. Es ist immer dasselbe Muster: zuerst werden die Jobs geschaffen, und dann die Mitarbeiter:innen dafür gesucht. Und die Jobs sind weiterhin nach dem alten Muster: möglichst Vollzeit, ziemlich feste Rahmenzeiten, vorgegebene Stellenbeschreibungen und Kompetenzprofile. Nicht wenige Unternehmen sehen nach wie vor Homeoffice und mobiles Arbeiten skeptisch, Führungskräfte hätten da viel zu wenig Kontrollmöglichkeiten.
Das erinnert doch sehr an das McGregor’sche Theorie X-Menschenbild von Führungskräften. Eigentlich werden Mitarbeiter:innen weiterhin in vielen Unternehmen als Ressource betrachtet – Mitarbeiter:innen sollen gefälligst so funktionieren, wie es vorgegeben ist, und dankbar sein, dass sie einen Job haben. Lange ist es her, dass sich angeblich ein Unternehmer bei seinem Personalchef darüber klagte, warum man, wenn man doch nur zwei Hände benötige, immer ein Hirn dazwischen mitbekommen müsse (Henry Ford).
Ich muss schon schmunzeln, wenn in einem Interview eine Unternehmerin ihre Erkenntnis zum Besten gibt, dass man halt heutzutage Mitarbeiter:innen mehr bieten müsse als früher, um gutes Personal zu bekommen. Personal für vorgegebene Jobs natürlich!
Aber wieso dreht das eigentlich niemand um? Unternehmen könnten sich ja auch fragen, welche Menschen sie gewinnen können, mit ihnen zu arbeiten – um darauf aufbauend zu überlegen, welche Potenziale diese Menschen haben, was sie einbringen können, wie sie arbeiten wollen. Daraus könnte sich dann ableiten, wie die Arbeit gemacht werden kann.
Zugegeben, der Ansatz ist nicht neu. Wir stehen schon seit langem in unseren Beratungsprozessen Stellenbeschreibungen kritisch gegenüber. Organisationen mit Stellenbeschreibungen sind wie Ziegelmauern, diese brauchen geformte Ziegeln. Menschen sind aber keine „geformten Ziegeln“, jeder Mensch ist einzigartig mit vielen Ecken und Kanten – will man daraus „Ziegeln“ formen, muss man Hervor-Ragendes wegschneiden und Lücken füllen. In Organisationen führt das dazu, dass Potenziale nicht genutzt werden (oder nicht eingesetzt werden dürfen) und Lücken durch Schulungsmaßnahmen gefüllt werden müssen. Warum bauen wir eigentlich keine römischen Mauern?
Gary Hamel, einer der bedeutendsten Management-Vordenker unserer Zeit, plädierte schon vor Jahren, das Management neu zu erfinden (z.B. in »The Future of Management«). »It’s all about the people« ist einer seiner Slogans. Und da tut es gut, wenn Unternehmen langsam beginnen, ihre Unternehmensphilosophie vollständig umzukrempeln. Dazu der Unilever-CEO Alan Jope: »Unsere erste Priorität sind unsere Angestellten. Dann kümmern wir uns um unsere Kundinnen und Kunden, unsere Business-Partner, den Planeten, die Gesellschaften, in den wir tätig sind.« Und das ist keine Absage an die Zielsetzung, erfolgreich zu sein. Denn Jope weiter: »Wenn wir alle diese Dinge gut machen, werden unsere Shareholder gut belohnt«.
Wann beginnen Sie mit dem Umbau Ihres Unternehmens? Oder wollen Sie warten, bis Sie mangels Personals zu magersüchtig geworden sind?
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