Grenzen des Verhandelns

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#Beratungssplitter Nr. 59

Von Eduard Hacker

»Es braucht bei allen Verhandlungspartner*innen zumindest einen Anflug von Anstand« sagt Karl, ein ehemaliger Ausbildungsverantwortlicher des Innenministeriums, der auch für die Ausbildung von »Verhandler*innen in Grenzsituationen« verantwortlich war, »wenigstens einen Hauch von Ganovenehre« ergänzt Günter, ein ehemaliger Leiter der Staatspolizei, der persönlich in viele Verhandlungen, auch mit Terroristen, involviert war, »sonst geht gar nichts, da nagelst Du eher einen Pudding an die Wand!«

Wir sitzen zu dritt beisammen und unterhalten uns über die aktuelle weltpolitische Situation, geprägt vom Krieg in der Ukraine. Ich bin enttäuscht, hatte ich doch nach dem Studium der einschlägigen Literatur (inkl. »Negotiating the Impossible« von Deepak Malhotra) und vielen erfolgreichen Verhandlungen gedacht, ich könnte jedes Thema mit jedem Menschen verhandeln.

Im Laufe des Gesprächs wird mir immer klarer, dass ich – fälschlicherweise – davon ausgegangen bin, in jeder Verhandlung »alternative Fakten« ohne Gesichtsverlust für die Verhandlungspartner*innen aufdecken und die Verhandlungspartner*innen »zur Vernunft bringen« zu können, ein Minimum an gemeinsamem Interesse identifizieren zu können und mich darauf verlassen zu können, dass Vereinbarungen eingehalten werden.

donald giannatti xI8cWGzAN5U unsplash 2Meine beiden Gesprächspartner öffnen mir die Augen, sagen, dass ich mir das alles »abschminken« kann, sobald ich es mit kaltblütigen, egozentrischen, ängstlichen Lügnern zu tun bekomme, die ihre eigenen Lügen glauben, die null Anstand haben, von Empathie ganz zu schweigen.
Ich will es nicht wahrhaben, dass es solche Menschen überhaupt gibt, und dass man Ihnen nur beikommen kann, wenn man sie in eine für sie ausweglose Situation bringt!
Und ich plage mich damit, beim »Verstehenwollen« solcher Menschen, vor allem, wenn sie Machtpositionen bekleiden, die eigenen Werte und die eigenen Erfahrungen völlig auszublenden; meine beiden Gesprächspartner sagen allerdings, das sei eine »conditio sine qua non«.

Und sie sagen mir auch, dass selbst die erfahrensten Profiler manchmal scheitern, weil sie sich nicht in jede Gedankenwelt hineinversetzen können.

Jetzt diskutieren wir die Grenze gesund – krank und die Bedeutung von Eitelkeit.

Da fällt mir ein, dass Präsident Biden vor einigen Monaten in einem Interview die Frage: »Halten Sie Präsident Putin für einen Mörder?« mit »Ja« beantwortet hat und ich bringe das ins Gespräch ein.

Verzweifelt bitte ich meine beiden Gesprächspartner, mir doch einen Ausweg aufzuzeigen, falls ich in einer Verhandlung einem kaltblütigen, egozentrischen, ängstlichen, eitlen, möglicherweise kranken Menschen begegne.

Da erlöst mich der Wecker – ich habe geträumt!

Im Laufe des Tages telefoniere ich mit meinen beiden Gesprächspartnern aus dem Traum, erzähle ihnen vom Traum und erlebe die nächste Ernüchterung: sie hätten genauso gesprochen, wären wir live zusammengesessen.

 

 

Bild: Unsplash