Vertrauen Sie mir!

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#Beratungssplitter Nr. 19                                                                                     
Oder: Wie man in den Wald hineinruft...                                                                                                               

Von Alexander Schönbernard hermant OLLtavHHBKg unsplash230X200

»Vertrauen Sie mir!« – wer immer das auch zu mir sagt, muss damit rechnen, dass spätestens jetzt mein Misstrauen beginnt. Obwohl ich sonst nicht misstrauisch bin (allerdings auch nicht gerade vertrauensselig). Offensichtlich ist Vertrauen für mich so selbstverständlich, dass ich, wenn immer es explizit angesprochen wird, mutmaße, dass es ein Grund dafür geben müsse, es zu thematisieren …

Ähnliche Gründe lagen offensichtlich auch bei Mitarbeiter*innen eines Teams vor, für das ich einen Workshop moderieren sollte. Bereits in der Auftragsklärung kam zu Sprache, dass die Führungskraft dieses Teams sich darüber beklagte, dass er einige »Minderleister« im Team mitschleppen müsse und die Teamleistung als Ganzes unter seinen Erwartungen bliebe. Ständig müsse er sein Team antreiben und das bei überschaubarem Erfolg.

Mir fiel das Experiment ein, das die Psychologen Lenore Jacobsen und Robert Rosenthal in den späten 60er-Jahren an einer Grundschule durchführten. Sie boten einigen auserwählten Lehrpersonen an, im nächsten Schuljahr eine besondere Klasse zu übernehmen: in ihr würden sich nur ganz ausgezeichnete Schüler*innen befinden, was durch entsprechende Tests auch den Schüler*innen selbst suggeriert wurde. Fakt war allerdings, dass sowohl Lehrer*innen als auch Schüler*innen zufällig für das Experiment ausgewählt worden waren. Trotzdem war es bemerkenswert, dass am Ende des Schuljahres, die Leistungen der Schüler*innen signifikant besser waren als die der anderen Klassen. Alleine das Vertrauen, zu den Besten zu gehören, und das Zutrauen der Pädagog*innen, besondere Leistungen erbringen zu können, führte zur entsprechenden Steigerung. Die Ergebnisse waren richtungsweisend – auch wenn später dann nachgewiesen wurde, dass dieser (auch als Pygmalion-Effekt bekannte) Effekt nur unter bestimmen Rahmenbedingungen auftritt:

  • der Schüler ist ein sogenannter Leistungsverweigerer oder Minderleister, er leistet derzeit also weniger, als ihm seine Fähigkeiten erlauben,
  • der Lehrer hat bislang die Fähigkeiten des Schülers unterschätzt,
  • der Schüler hat die Einschätzung des Lehrers auch übernommen, also internalisiert.

Bingo. Exakt die Beschreibung, die mir auch die Führungskraft über ihr Team gab.

Der Fokus der nachfolgenden Workshops war also gegeben: Vertrauen und Zutrauen.
Vertrauen zwischen mir und anderen Personen besteht in der Annahme, dass diese sich in einer für mich nicht gänzlich steuerbaren Situation auf eine mir willkommene (und ggf. vereinbarte) Weise verhalten werden. Selbst dann, wenn sie die Freiheit und Möglichkeit hätten, sich anders zu verhalten. Damit ist Vertrauen auch immer mit einem Risiko für mich verbunden – ich begebe mich sozusagen auch ein wenig in die Abhängigkeit anderer.

Das werde ich üblicherweise nur dann machen, wenn ich mich grundsätzlicher sicher fühle – also nicht die Befürchtung hegen muss, dass meine Unsicherheit oder meine in dieser Situation vielleicht mangelnde Kompetenz zu meinem Schaden ausgenützt wird.

Der angesprochene Beratungsprozess ist kein Einzelfall. Selbsterfüllende Prophezeiungen sind typische Verhaltensweisen aufgrund von Zuschreibungen. Wie schaue ich als Führungskraft auf meine Mitarbeiter*innen? Faul, mir Leistung vorenthaltend, berechnend, ständig zu motivieren etc.? Oder engagiert, vorwärtsstrebend, leistungsbereit und innerlich motiviert? Aber halt auch mitunter unsicher, Orientierung suchend, Hilfe rufend, fragend etc.

Gerade in Zeiten von Homeoffice, virtueller Zusammenarbeit und Führung auf Distanz sollten Führungskräfte die ureigensten Bedürfnisse von Menschen nicht aus den Augen verlieren: Sicherheit, Anerkennung, Zugehörigkeit und Orientierung. Ein Anfang wäre gemacht, wenn sich die Führungskräfte diese Bedürfnisse selbst zugestehen würden und in weiterer Folge ihr Führungshandeln danach ausrichten.
Wie sagt eine Kollegin immer: »Wenn nichts mehr hilft, probier’s mal mit Vertrauen.…«



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