Prinzipien oder Regeln?

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#Beratungssplitter Nr. 24
Letztens auf der Fahrt nach Salzburg. Sicht gut, wenig Verkehr, dreispurige Autobahn, es geht leicht bergauf.

Von Alexander Schön

Eine Vorankündigung: Baustelle in einem Kilometer mit Voranzeiger über den Fahrstreifenverlauf (der dritte Fahrstreifen geht über in den zweiten, der zweite in den ersten), Geschwindigkeit auf 100 km/h reduzieren, 300 Meter später auf 80 km/h. Blick in den Rückspiegel, alle hinteren Verkehrsteilnehmer*innen verringern die Geschwindigkeit auf 80 und reihen sich auf dem ersten Fahrstreifen ein. Wir fahren 1 km weiter – keine Baustelle, 2 km – noch immer keine Baustelle oder wie immer geartete Hindernisse. Die ersten pfeifen auf den 80er und beschleunigen wieder, ein Kastenwagen überholt mich trotz noch immer geltenden 80 auf der dritten Spur mit gefühlten 150 – nicht-österreichisches Kennzeichen. Eh klar – meine Voreingenommenheit schreit auf (besonderen Kastenwagen gegenüber, nicht Kennzeichen…). Nach einigen weiteren 100 Metern nehmen alle wieder ihre Autobahngeschwindigkeit auf – auch ich – und gehen zur Normalität über. beauty beyond rules230x200

Mein erster Reflex war natürlich: Wozu werden Regeln aufgestellt, die völlig sinnlos sind? Und überhaupt, wieso setzen sich immer wieder einige über so simple Regeln hinweg? Ein komplexes System kann doch nur mit klaren Strukturen und festen Regeln funktionieren... Ich schob meine Gedanken allerdings schnell beiseite, denn erstens waren sie inhaltlich falsch und dienten zweitens ausschließlich zur Befriedigung meiner Aufgeregtheit und waren daher – ziemlich unnütz.
Meine weiteren Überlegungen führten mich allerdings zu einem aktuellen Transformationsprojekt, wo es gerade um den Wirkungsgrad von Regeln und Prinzipien zur Zusammenarbeit in einer Organisationseinheit eines großen Unternehmens ging.

Was ist der Unterschied und was verbindet die beiden Begriffe?

Menschen folgen, wenn sie handeln, immer irgendwelchen Regel- und Gesetzmäßigkeiten – unabhängig davon, ob diese Regeln und Gesetzmäßigkeiten ausformuliert sind oder nicht und ob man ihnen absichtlich und bewusst folgt oder nicht. Hilfreich ist es, folgende Ebenen der Zusammenarbeit zu unterscheiden:

  • Ebene 1: Prinzipien – Prinzipien sind allgemeine Grundkonzepte der Zusammenarbeit. Sie entstehen aus eigener oder einer gemeinsam erarbeitenden Überzeugung zu einem bestimmten Vorhaben – etwa der gemeinsamen Strategieumsetzung. Prinzipien erfordern und ermöglichen Gestaltungsspielraum und Auseinandersetzung. Sie beschreiben einen Endzustand und nicht die Durchführung. Idealerweise unterliegen sie einem Lern- bzw. Entwicklungsprozess.
  • Ebene 2: Regeln – Regeln setzen Prinzipien in konkrete Anweisungen bezüglich der Zusammenarbeit um. Sie decken bestimmte Bereiche der Kooperation ab und führen ohne Hinzuziehung weiterer Hilfsmittel idealerweise zu einer eindeutigen Lösung.
  • Ebene 3: Einzelfestlegungen – Diese braucht es gegebenenfalls in Bereichen, in denen allgemeine Regeln fehlen. Letztlich beruhen sie aber auch auf den Prinzipien.
    Einen interessanten Gedanken dazu bringt auch Gerhard Wohland ein. Er leitet das »Institut für dynamikrobuste Organisation« und beschreibt Strategie »… als einen zunächst leeren Handlungsraum, der durch Prinzipien begrenzt wird. Er wird für den unbekannten Teil des Weges benötigt. Für den bekannten Teil genügt ein Plan, gebildet aus Regeln.«

Gerade vor dem Hintergrund der permanenten, rasanten und kaum vorhersehbaren Veränderungen unserer Umwelten haben wir es immer mehr mit dem »unbekannten Teil des Weges« zu tun. Der Blick ins Handbuch wird uns dabei nur wenig helfen. Aber möglicherweise Prinzipien – vorausgesetzt, die Mitarbeiter*innen sind in der Lage, und vor allem ermächtigt im Rahmen dieser Prinzipien zu handeln.

Regel oder Prinzip? Eine Personal-Expertin erzählte mir kürzlich von einem fast schon zum Ritual gewordenen Prozedere bei Bewerbungsgesprächen, die sie führt. Zum Ende des Interviews stellt sie meist folgende Frage: »Angenommen, Sie stehen an einer untertags viel befahrenen Kreuzung. Es ist kurz vor Mitternacht, kein nennenswerter Verkehr, die Fußgängerampel Ihnen gegenüber zeigt rot. Warten Sie, bis es grün wird, oder gehen sie bei Rot?«
Welche Menschen nimmt Ihre Organisation üblicherweise auf und welche braucht Ihre Organisation. Und einfach so zum Nachgrübeln: Wie würden Sie die Frage beantworten?

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