Alles Bullshit! Oder?

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Von Clemens Stieger

»Agil? Ist das Thema nicht schon wieder out?« 

So lautete die Frage einer Kundin bei der Planung der internen Führungsentwicklung.
Wenn man das Agile Manifest als Initialzündung der agilen Bewegung ansetzt, hat diese tatsächlich schon 20 Jahre »auf dem Buckel«. Also ganz neu ist sie nicht mehr. Blickt man jedoch auf die gelebte Praxis in Unternehmen, so entsteht eher der Eindruck, dass sich die meiste noch gar nicht oder gerade erste mit dem Thema zu beschäftigen begonnen haben. Auch in unseren Beratungsprojekten müssen wir meist erst eine Einführung zu Agilität leisten bzw. diese auch erst erlebbar machen, um über Anwendungen weiter nachdenken zu können.sharon pittaway 4 hFxTsmaO4 unsplash230x200

Natürlich, wir sind umgeben von Hypes, Modewellen und Bullshit. Anbieter und Berater*innen treiben in regelmäßigen Abständen die bekannte »neue Sau durchs Dorf«. Eine Modewelle wird genutzt, um Geschäft zu generieren. Skepsis ist also berechtigt, um nicht bei jeder Welle hineingezogen zu werden.
Fakt ist auch, dass es psychologische Phänomene wie die »Semantische Sättigung« gibt: Wörter verlieren durch häufige Verwendung ihre Bedeutung. Bei Agilität ist die inflationäre Nutzung gerade beobachtbar. Und das trägt nicht zu einem besseren Verständnis bei.

Aber 2 Gedanken möchte ich dem entgegenstellen, um zu verhindern, dass nicht gleich das »Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet« wird.

Der »Hype Cycle« nach Gartner hat uns gelehrt, dass Innovationen (insbesondere neue Technologien) typische Stadien durchlaufen. Nach dem Start folgt meist eine Spitze an überhöhter Erwartung, gefolgt von einer Phase der Desillusionierung. Erst dann entwickelt sich Produktivität. Es braucht also etwas Zeit, bis neue Ideen & Produkte ihre Wirksamkeit in der Breite entfalten. Nach den »early adopters« muss erst die breite Mehrheit einsteigen und auch eine Phase der kritischen Auseinandersetzung überwunden werden. Ein Abschwung könnte also auch ein Hinweis sein, dass eine Idee oder Innovation gerade erst beginnt, breiten Boden und Akzeptanz zu gewinnen. Dranbleiben kann sich also auszahlen.

Der andere Gedanke: Stellen wir uns doch die Frage, warum eine Modewelle eigentlich gerade jetzt auftaucht und nicht gleich verpufft. Warum sind wir überhaupt auf ein spezielles Angebot oder Innovation zugänglich? Damit eine neue Idee greift, muss sie nicht auch bis zu einem gewissen Maß ein aktuelles Bedürfnis, ein Problem treffen, das uns mehr oder weniger bewusst beschäftigt? Welches zugrundeliegende Herausforderung, soll damit also angegangen werden? Eine Modewelle kann man so als Lösungsversuch verstehen. Wenn man dieser Frage folgt, könnte man vielleicht an einem entscheidenden Punkt landen: ein Hinweis auf einen tatsächlichen Bedarf und ein dahinter stehendes »echtes« Problem. Beim Fall der Agilität liegt es auf der Hand: Unternehmen kämpfen damit, sich an immer rascher ändernden Rahmenbedingungen anpassen zu müssen. Der Kunde, die Mitarbeiter:innen und auch der Markt verlangen nach anderen Arbeitsweisen, die rasch, flexibel und anpassungsfähig sind. Agilität ist ein Lösungsversuch dafür.

Die Empfehlung also: nicht alles unkritisch mitmachen, aber auch nicht alles unhinterfragt (vorschnell) wegwerfen. Und wenn man etwas implementiert, zuerst gut hinschauen, warum man es machen möchte und dann einen eigenen Weg suchen - nicht eine billige Kopie.

 

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