Führungsentwicklung und Führungskräfteentwicklung

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#Beratungssplitter Nr. 37
Von Alexander Schön

Es ist schwer, in Zeiten wie diesen nicht politisch zu werden. Angesichts des oftmals nur aufgeregten Gegackers in und aus allen Richtungen fällt einem schnell einmal Ernst Jandls Gedicht lichtung (1966) ein:
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lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein illtum

Aber genug des politisch Korrekten. Mir fällt Jandls Gedicht auch in einem anderen Zusammenhang ein: Manche meinen, Führungsentwicklung und Führungskräfteentwicklung wären das gleiche – dabei täte die Unterscheidung so gut.

Auch wenn der Begriff Führungskraft an den Rändern ein bisschen unscharf ist, löst er doch im Allgemeinen ein gemeinsames Verständnis aus: ‘Personen, von denen die Kraft der Führung ausgeht‘ – also Menschen, die führen. Führung hingegen meint den Rahmen, in dem der Akt des Führens an sich stattfindet. Ersteres nimmt das Individuum in den Fokus, letzteres ist ein organisationales Phänomen. Als Kulturleistung bedarf beides einer kontinuierlichen Weiterentwicklung.

Die vielen Aus- und Weiterbildungsprogramme zeigen auch, dass Organisationen sich über die Notwendigkeit zur Entwicklung von Führungskräften bewusst sind. Es scheint aber, dass es einfacher angesehen wird, Individuen zu entwickeln als Systeme. Denn in der Arbeit mit Führungskräften erleben wir immer wieder, dass diesen Entwicklungsprogrammen der Führungsrahmen fehlt. Damit stehen die Führungskräfte schnell einmal im Regen.

Jetzt, wo uns die Pandemie den Blick auf das scheinbar Selbstverständliche freigibt, zeigen sich diese Nachlässigkeiten der Vergangenheit besonders: Nun rächt sich der Umstand, dass Führungskräfte zu oft an ihren operativen Ergebnissen gemessen werden, anstatt an vereinbarten Führungsleistungen. Denn erst auf Basis eines Rahmens von Führung kann die Führungskraft an ihrer individuellen Ausgestaltung von Führung und deren Wirksamkeit arbeiten. Insofern fühlen sich jetzt viele Führungskräfte allein gelassen und verharren im Gefangensein im (oftmals problematischen) Augenblick: Jetzt habe ich ein (Führungs-)Problem, und daher brauche ich jetzt eine Lösung – am besten auf Rezept. Ein Beispiel (im O-Ton):
»Wie sollen wir denn die Leistung der Mitarbeiter*innen überwachen, wenn sie im Homeoffice sind?« oder »Wie kann denn die Einbindung der Mitarbeiter*innen gelingen, wenn ich sie nicht vor Ort habe?«

Die Fragen sind schlicht zu spät gestellt. Und selbst wenn es eindeutige Antworten auf diese (oder ähnliche) Fragen gäbe, würden sie zu kurz greifen. Sie wären Symptombehandlung, gingen aber am Wesen der Problemstellung vorbei.

Bevor es zu oben angeführten exemplarischen Fragen kommt, müssten Antworten auf Fragen wie etwa »Was heißt eigentlich Führung bei uns im Unternehmen? Welches ausgesprochene/ gehörte/ verstandene/ einverstandene und internalisierte Verständnis von Führung soll bei uns im Unternehmen zur Anwendung kommen? Welche Menschenbilder liegen unserer Führung zugrunde?« u.a.m. diskutiert werden.

Führungskräften fehlt manchmal schlicht der Führungsrahmen, in dem sie sich bewegen können (bzw. müssen). Anstatt gemeinsam diesen Rahmen zu entwickeln, wird munter an ihren Führungseinstellungen und Führungsfertigkeiten herumgedoktert. Nicht gut für die Führungskraft und nicht gut für das Unternehmen. Ein doppeltes Dilemma.

Wie kann nun Führung gelingen?

Mit jenen Führungskräften, die mit obigen Fragestellungen kämpften, haben wir kürzlich einen Prozess angestoßen. Wir sind mittendrin, Erfolgshandlungsfelder und Führungsleistungen zu erarbeiten, also Rahmenbedingungen für Führung zu entwickeln – berücksichtigend, dass parallel auch an den Einstellungen und Fertigkeiten einzelner gearbeitet werden muss, um die Ausgestaltung des Führungsrahmen sicherzustellen. Und es bahnen sich bereits Wege aus dem Dilemma an …

Neugierig?

 

 

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