Was ist eigentlich Leistung?

Veröffentlicht am .

#Beratungssplitter Nr. 45
Von Alexander Schön

Ich bin Techniker von der Ausbildung. Das erleichtert mitunter den Zugang zu Dingen. Bei einfachen Herausforderungen hilft ohnehin eine Wenn-Dann-Logik und
auch wenn’s kompliziert wird, geben die eher analytischen Ansätze eine gute Orientierungshilfe, wie man rasch zu einer Lösung des Problems bzw. der Herausforderung kommt. Aber es gibt auch ein paar Fallen, in die wir als Techniker tappen, wenn wir etwa versuchen, simple Kausallogiken auf komplexe Fragestellungen anzuwenden.

Nehmen wir beispielweise den eher technischen Begriff der Leistung. Was ist das, Leistung? Aus dem Physik-Unterricht fällt einem vielleicht noch ein:
Die Leistung als physikalische Größe bezeichnet die in einer Zeitspanne umgesetzte Energie bezogen auf diese Zeitspanne. 
Demnach ist Leistung P der Quotient aus verrichteter Arbeit ∆W oder dafür aufgewendeter Energie ∆E und der dazu benötigten Zeit ∆t :

stephane mingot tXxyqjaXvRs unsplash320x200           ∆E        ∆W
 P=      ∆t    =    ∆t

 

So weit, so technisch bzw. physikalisch.

 

 Aber wie schaut’s aus mit der Leistung, die in der Organisation erbracht wird? Da kommen wir schnell an die Grenzen mit der technisch-physikalischen Definition. Aber das wird wohl kaum der Grund sein, warum Leistung in Organisationen zwar immer gefordert wird, aber kaum jemand sagt, was damit gemeint ist. Die Zeiten von Stückzahlen, Durchlaufzeiten oder dem Gegenüberstellen von mengenmäßigem Output und Input sind größtenteils vorbei. In den meisten Fällen haben wir es mit Wissensarbeit zu tun. Und dann wird’s üblicherweise … vielfältig mit dem Verständnis von Leistung.

Nachdem sich Leistung im Organisationskontext nicht randscharf (im Sinne von definitorisch genau von angrenzenden Begriffen abgrenzbar) definieren lässt, möchte ich Leistung kernprägnant darlegen. Damit meine ich, dass dieser Definitionsversuch zwar an den Rändern unscharf wird, jedoch vom Kern oder Wesen des Begriffs her bei allen Menschen in der Organisation ein gemeinsames und seelisch vielschichtiges Verständnis auslösen soll. In guter technischer Manier versuch ich’s wieder mit einer Formel:

Leistung = Fähigkeiten x Engagement x Kontext.

Fähigkeiten meint in diesem Zusammenhang Wissen, Fertigkeiten, Talente etc. Bei Engagement geht es um Motivation, um Anstrengung, um Drive und um Commitment. Und mit Kontext ist die Umwelt der Organisation gemeint, ihre Kultur, die Strukturen, die Prozesse und Leadership.

Top-Leistung kann nur dann erbracht werden, wenn alle drei Aspekte optimal aufeinander abgestimmt sind. Denn – und das ist der Vorteil einer Formel – wenn auch nur einer der Faktoren kleiner eins ist, wird die Gesamtleistung, sagen wir, suboptimal. Ganz zu schweigen davon, wenn ein Faktor gegen Null geht …
Es lohnt sich also, sich dem Begriff Leistung über diese Formel zu nähern. Damit sind nämlich die Stellschrauben bekannt, an denen gedreht werden kann, wenn man das Ergebnis verbessern möchte.

Üblicherweise wird an einzelnen Elementen gedreht, meist ohne die anderen im Sinne einer systemischen Betrachtung miteinzubeziehen. So wird oft munter an Motivation herumgedoktert und deren scheinbare Nichtexistenz unterstellt, ohne jedoch auf das Können, Müssen und Dürfen zu achten. Oder es werden Prozesse neu ausgerichtet, ohne sich des dazu notwendigen Wissens bei den Mitarbeiter*innen und deren Commitment zu vergewissern.

So beschäftigt mich gerade das Thema Engagement in einem meiner aktuellen Beratungsprojekte. Dabei geht es vordergründig um Strukturen und Prozesse, die eine Leistungserbringung unterstützen und sichtbar machen. Gleichzeitig ist es aber nur Teil einer agilen Transformation, wo natürlich die Entwicklung eines dazu notwendigen Mindsets im Vordergrund steht.

Konkret ist durch die Einführung von OKR (Objectives & Key Results) sichtbar geworden, wer Beiträge leistet und wer nicht (und dabei reden wir noch nicht über die sprichwörtliche Extra-Meile …). Die Minderleistung einiger ist nichts vermutetes mehr, sie ist offensichtlich und untergräbt die … im Team. Plötzlich drängen alle Komponenten der oben angeführten Definition von Leistung auf die Bühne.

Die Diskussion im Team über Commitment, gegenseitige Verpflichtung ist voll entbrannt. Nicht-Wollen wird gegen Nicht-Können ausgespielt und umgekehrt. Der Wille und die Fähigkeit, sich als Team selbst zu organisieren, wird ebenso hinterfragt, wie die Sinnhaftigkeit der Prozesse, agil zu arbeiten oder Ziele zu benennen und sich in der Zielerreichung an OKR zu orientieren. Und der Ruf nach starker Führung wird wieder lauter – sowohl von unten als auch von oben.

Aber alles gut, das sind genau die richtigen Auseinandersetzungen. Wir sind in einer Transformation.

 

 

Bild: Unsplash