Weiterbildung in-house oder öffentlich?

Veröffentlicht am .

#Beratungssplitter Nr. 46
Von Clemens Stieger

»Nein, wir machen das alles lieber intern«, so die Antwort einer Personalentwicklerin auf eines unserer öffentlichen Trainings-Angebote. Mit »intern« sind Lern- und Trainingsmaßnahmen gemeint, die spezifisch für das Unternehmen ausgewählt oder entwickelt und ausschließlich den eigenen Mitarbeiter*innen angeboten werden - manchmal auch in den eigenen Schulungsräumlichkeiten. Die Position der Personalentwicklerin ist auch gut nachvollziehbar. Schließlich spricht ganz viel für unternehmensspezifische Lernangebote:

  • Sie sind maßgeschneidert auf die jeweilige Unternehmenssituation und die spezifischen Bedürfnisse angepasst
  • Sie können standardisiert und multipliziert werden
  • Sie greifen bestehende interne Ansätze, Werte, Instrumente und Zugänge auf
  • Sie fördern den (informellen) Austausch innerhalb des Unternehmens
  • Sie ermöglichen einen Netzwerksaufbau über interne Abteilungssilos hinweg
  • Sie lassen Raum, auch vertrauliche oder strategische Themen zu besprechen
  • Sie sind durchaus kostengünstig, wenn sie zentral geplant sind
  • u.v.mxiaoxiao sun e8e4YY65sOk unsplash320x200

Wie gesagt, alles gute Gründe. Da könnte man schon meinen, dass überbetriebliche Akademien keine Existenzberechtigung mehr hätten. Das war auch der Eindruck aus dem Gespräch mit der Personalentwicklerin. Irgendwie ist ein leicht abwertender Unterton mitgeschwungen: offene Angebote sind out oder sind nur für die Unternehmen, die sich keine eigenen in-house Veranstaltungen leisten können oder wollen.

Um die Jahrtausendwende war die Zeit der »Corporate Universities«. So gut wie alle großen Konzerne haben ihre eigenen Fortbildungseinrichtungen etabliert und intern strategisch positioniert. Oft als elitäre Kaderschmiede konzipiert, ist es inzwischen damit etwas ruhiger geworden. Stand die Steuerbarkeit und Einheitlichkeit der Programme im Vordergrund, kommen heutzutage zunehmend neue Anforderungen hinzu. Aktuell stehen Unternehmen vor der zentralen Frage, wie Innovation entstehen, neue Ideen und Produkte rasch entwickelt werden können. »Design Thinking«-Ansätze oder »Open Innovation« sind gefragt: externe Sichtweisen bis hin zu Kundenperspektiven werden explizit eingebunden und in der Gestaltung berücksichtigt.
Außensicht und Denken »outside the box« ist gefragt.

Und da kommen nun wieder externe Lernangebote ins Spiel. Bei derartigen unternehmensübergreifenden Angeboten, stehen andere Aspekte im Vordergrund:

  • Der Blick über den Tellerrand: Wie sieht es in anderen Unternehmen und Branchen aus?
  • Anonymes Probehandeln: mit neuen Verhaltensweisen und Rollen kann experimentiert werden, ohne sich im Alltag später rechtfertigen zu müssen (»Prototyping«)
  • Probleme offenlegen: eigene Schwierigkeiten, Sorgen und Emotionen können ohne Angst vor schlechter Nachrede besprochen und geteilt werden
  • Vergleichen: Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen Unternehmen und Branchen werden sichtbar
  • Abstand vom eigenen unternehmerischen Kontext: „neutraler“ Boden ermöglicht Distanz zum betrieblichen Alltag
  • Einfache Organisation: den Aufwand für Organisation und Risiko der Durchführung wird outgesourced
  • u.v.m.

Die zufällige Zusammensetzung und Teil einer »stranger group« zu sein sowie der Vergleich mit anderen Unternehmen ermöglicht neue Perspektiven. Nicht selten schildern Teilnehmer*innen nach einer Absolvierung die überraschende und auch entlastende Erfahrung, dass es »woanders noch viel schlimmer ist«.

Die meisten Inhalte lassen sich zweifelsohne mit beiden Varianten gut vermitteln. Der Unterschied ist die soziale Konstellation, die das eine oder das andere ermöglicht. Das sind dann die »Nebeneffekte«, die »indirekten Lernziele«. Die stehen nicht im Vordergrund, verdienen aber Beachtung. Geht es eher um Einheitlichkeit, Vergemeinschaftung und spezifische Ausrichtung oder um Anregung, Horizonterweiterung und individuelle Entwicklung? Eine bewusste Entscheidung für das eine oder andere ist notwendig.

In den letzten 1,5 Jahren haben viele Unternehmen intensive Erfahrung mit digitalen und virtuellen Lernformaten gesammelt und damit das Lernportfolio erweitert. Die Herausforderung ist auch hier, zukünftig eine gute Wahl zwischen klassischen Präsenzformaten und Online-Angeboten zu treffen. Das »Learning Ecosystem« ist damit bunter geworden. In-house oder öffentlich ist eine der vielen anderen Optionen.
Als klare Empfehlung kann auch hier gesagt werden: denken Sie nicht in »oder« sondern in »und«.

 

 

Bild: Unsplash