Mitarbeiterbindung – Binden sie noch oder ketten Sie schon?

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#Beratungssplitter Nr. 48
Von Alexander Schön

Bei der Vorstellung des Hays HR Report 2020 titelte der Personaldienstleister Hays: »Mitarbeiterbindung bleibt das Top-HR-Thema für Unternehmen«. Dieser jährlich erscheinende HR-Report analysiert die zentralen HR-Fragestellungen, die Organisationen beschäftigen. Laut Report rangiert auf dem ersten Platz der wichtigsten HR-Themen »Mitarbeiter binden« (35%) gefolgt von »Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter fördern« (31 %), »Arbeitsstrukturen flexibilisieren« (31 %), »Talent-Management ausbauen« (27 %), »Unternehmenskultur weiterentwickeln« (26 %) und schließlich »Neue Mitarbeiter:innen gewinnen« (25 %).karsten winegeart 2rHw1I IoT4 unsplash

Selbst wenn sich jetzt gut eineinhalb Jahre nach Untersuchung die Prozentsätze wahrscheinlich etwas verschoben haben (Mitarbeitergewinnung scheint gerade das personale Hauptthema zu sein), stellt sich mir die Frage: Machen wir da in puncto Mitarbeiterbindung schon das Richtige? Haben wir da ein Wort, das aus dem Management-Denken des letzten Jahrhunderts stammt, nur nicht begrifflich angepasst oder versuchen wir tatsächlich, Leute zu »binden«?

Befragt man das Internet, kommen schnell Vorschläge wie »Die 7 Faktoren für eine bessere Mitarbeiterbindung«, die «Top-5-Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung«, die »6 Säulen der Mitarbeiterbindung« u.a.m.

Darin werden viele Maßnahmen angesprochen und Aktivitäten vorgestellt, die zweifelsfrei richtig und wichtig sind. Trotzdem beschleicht mich da auch ein Gefühl, dass die vorgeschlagenen Initiativen nicht immer auf das dafür notwendige Menschenbild, Organisations- und Führungsverständnis stoßen. So trifft der Begriff Mitarbeiterbindung in meiner Wahrnehmung aus Beratungsprozessen oft auf Bilder von Über- und Unterordnung, die Ausdruck einer väterlichen, Vorgesetzten-Untergebenen-Beziehung sind. Das ist klassisch herrschaftliches Denken – egal mit wieviel Sorgfalt es betrieben wird. Die Organisation gewährt – mehr oder weniger gönnerhaft – ein paar Goodies (Obstkörbe finden sich nach wie vor ganz oben auf der Liste), erwartet Gefolgschaft und ist verstört, wenn diese ausbleibt, missbraucht oder aufgekündigt wird.

Was bewegt Menschen, sich in einer Organisation zu engagieren, sich einem Unternehmen verbunden zu fühlen? Es lohnt ein Blick auf die Wissenschaft (auch wenn dies in Zeiten wie diesen nicht gerade en vogue ist …).

Die Organisationspsychologen Natalie Allen und John Meyer haben die verschiedenen Bindungsmechanismen identifiziert, die es, obwohl schon gut 30 Jahre alt, auch heute wert wären, in die Überlegungen zur Mitarbeiterbindung miteinzubeziehen. Sie führen dabei drei Dimensionen von Commitment an (Commitment verstanden als Verbundenheit, Zugehörigkeit und Identifikation, die Menschen einem bestimmten Bindungsziel gegenüber empfinden und erleben):
Affektives, kalkulatorisches und normatives Commitment.

  • Wird einem Unternehmen affektives Commitment entgegengebracht, steckt üblicherweise eine starke Akzeptanz und Identifikation mit den Werten und Zielen der Organisation dahinter. Darüber hinaus ist eine hohe Bereitschaft gegeben, sich besonders für das Unternehmen einzusetzen und auch weiterhin diesem Unternehmen verbunden zu bleiben.
  • Bei der rationalen Dimension, dem kalkulatorischen Commitment, ist die emotionale Komponente deutlich weniger ausgeprägt. Hier geht es eher um das Balancieren der bisherigen ‚Investitionen‘ und dem zu erwartenden Nutzen – also was ‚kostet‘ es, das Unternehmen zu verlassen.
  • Das normative Commitment beschreibt hingegen, inwieweit sich eine Person auf Grund moralischer Verpflichtungen und normativer Vorstellungen an das Unternehmen gebunden fühlt. Normvorstellungen werden durch Sozialisierungsprozesse internalisiert. So entstehen Treue und Loyalität.

Diese Dimensionen können durch spezifische Maßnahmen beeinflusst werden. Allerdings bräuchte es dazu ein differenziertes Wissen über die Motivation und damit den Commitment-Status der Mitarbeiter:innen. Womit wir wieder bei den zentralen Themen hinter der Mitarbeiterbindung wären: Menschenbild, Organisations- und Führungsverständnis.

Vor allem die Führung sei hier angesprochen, einer Frage nachzugehen, die die Leitfrage rund um das Thema Mitarbeiterbindung sein sollte: Wie muss Arbeit organisiert sein, dass jede Person ihr bestes Potenzial ausschöpfen kann? Am besten bei sich selbst anfangen und natürlich Antworten für die und mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern finden. Aber weniger versuchen, Menschen zu managen als vielmehr die Arbeit und Wertschöpfung selbst.

Auf dem 10. Platz der HR-Themen 2020 steht übrigens »Agile Organisation einführen«. Nur gleich vorweg: Das wird mit ›gebundenen‹ Mitarbeiter:innen nicht funktionieren …

 

 

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