Die 9 Stufen der Konflikteskalation

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 #Beratungssplitter Nr. 60

Von Alexander Schön

Ich hab mich letzte Woche einmal intensiver mit dem Phasenmodell der Eskalation von Friedrich Glasl auseinandergesetzt. Anlass war sein Vortrag, in dem er sein Modell hinter die Entwicklungen rund um den Krieg in der Ukraine legte. Für Interessierte sei hier auf den Youtube-Link der Aufzeichnung seines Vortrags »Konfliktdynamik und Friedenschancen in der Ukraine: Was können wir zur De-Eskalation und zum Frieden beitragen?« verwiesen.
Anhand der konkreten Handlungen, die bis jetzt von und zwischen involvierten Parteien gesetzt wurden, konnte man das Modell gut nachvollziehen – wie wenn es auf Basis dieser Ereignisse eigens entwickelt worden wäre. Ist es aber nicht, denn der international renommierte Konfliktforscher Glasl hat das Modell bereits 1980 vorgestellt.
Ich habe das Modell im Rahmen meiner Ausbildungen eher von der theoretischen Seite kennengelernt und verwende es auch (zugegeben mitunter oberflächlich) in meinen Seminaren und Workshops rund um das Thema Konfliktmanagement – und manchmal auch in konkreten Mediationssettings.

federica giusti P7ff55Unfac unsplashDie Mächtigkeit des Modells wurde mir aber erst so richtig durch diesen Vortrag bewusst, wo die einzelnen Stufen nicht mehr durch abstrakte Formulierungen beschrieben, sondern durch konkret gesetzte Handlungen nachvollziehbar wurden. »Dementierbares Strafverhalten« (Stufe 4) oder »Forderung – Sanktion – Sanktionspotenzial« (Stufe 6) hören sich verstandesmäßig nachvollziehbar an, aber es macht einen Unterschied, wenn die Drohgebärden einen potenziellen Atomwaffeneinsatz zum Inhalt haben – und vor allem wenn man mittelbar betroffen ist.

Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie die konkreten Handlungen ausschauen, wenn man diese Konfliktdynamik gemäß Modell weiterdenkt. Wenn niemand diese Spirale durchbricht, ist vorhersehbar, was passieren wird.
Aber noch einen Schritt zurück: In der Auseinandersetzung mit dem Modell bin ich gedanklich bei der scheinbaren »Harmlosigkeit« der ersten beiden Stufen hängengeblieben. In der ersten Stufe herrscht ja die Überzeugung, dass etwaige Spannungen noch durch Gespräche lösbar wären und »man müsse doch verstehen, dass die andere Person halt so sei …« usw. In weiterer Folge wird der »Ober- und Unterton« ebenso hingenommen wie die gegenseitigen Abwertungen, die für die zweite Stufe typisch sind.
Diese Phänomene beobachte ich in meinen Beratungsprojekten öfters – egal ob zwischen einzelnen Personen, in Teams oder auch zwischen Organisationseinheiten. Das schreckt mich auf der einen Seite ein bisschen, denn bis zum Empathieverlust (Stufe 3) ist es dann nicht mehr weit. Auf der anderen Seite sind solche Konfliktszenarien noch gut zu managen, mitunter durch ein bisschen externe Unterstützung. Aber generell – ich denke, wir brauchen da mehr Aufmerksamkeit auf diese Dynamiken in der Zusammenarbeit.

Jede auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Unternehmensstrategie wird sich auf die bekannten 3 K – Kunden, Kooperation und Kreativität – fokussieren. Und das bedeutet, allen einseitig gedachten Digitalisierungsbestrebungen zum Trotz, Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Menschen – inklusive der Auseinandersetzung mit den erst im Ansatz vorliegenden Fragen rund um künftige Arbeitsmärkte, Arbeitsorte, Arbeitszeiten, Leistung, Life-Balance …
Wir werden aber nicht umhinkommen, uns jetzt schon mit Fragestellungen auseinanderzusetzen, wie etwa:

  • Wie gehen wir mit anderen um, mit anderen Meinungen (so obskur sie auch scheinen mögen), mit (scheinbaren) Minderheiten oder (scheinbaren) Mehrheiten?
  • Wie halten wir es generell mit Vielfalt, mit Vielstimmigkeit, mit Ambiguität und Diversität?
  • Sind wir genügend achtsam für die Kooperationsdynamiken und deren Folgen?
  • Was tun wir diesbezüglich präventiv, was kurativ?
  • Wie fit sind wir im Umgang mit Konflikten?
  • Gibt es institutionalisierte Prozesse, in denen wir uns diesen Themen (professionell) widmen?

Ein sehr empfehlenswertes Instrument, das auch wir regelmäßig - auch für uns selbst - einsetzen, ist übrigens das Konzept des »Clear the Air«, in dem es darum geht, schon frühzeitig potenzielle Spannungen zu behandeln, die individuellen Fähigkeiten im Umgang mit Konflikten zu vertiefen oder auch die eigene Empathie-Fähigkeiten zu trainieren.

Vielleicht beschäftigt ja auch Sie das eine oder andere in diesem Kontext. Lassen Sie uns darüber reden!

 

 

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