Virtuelle Führung führt um Führen nicht herum

Veröffentlicht am .

#Beratungssplitter Nr. 51
Von Alexander Schön

Von Albert Einstein wird berichtet, dass er seinen Student*innen einmal zwei Jahre hintereinander die gleiche Klausur gegeben hat. Seiner Assistentin fiel das aber auf. »Herr Professor, das sind ja die gleichen Prüfungsfragen wie letztes Jahr!« Worauf Einstein schmunzelnd erwidert haben soll: »Ja, das ist korrekt. Aber die Antworten haben sich geändert.«
Umgelegt auf das Thema Führung beobachten wir gerade ähnliches – allerdings mit umgekehrter Erkenntnis: Die Antworten sind die gleichen, nur die Fragen haben sich geändert.markus spiske QozzJpFZ2lg unsplash230x200

Die am meisten nachgefragten Themen im heurigen Jahr betrafen ein »Neues Führen«: Was gibt’s alles zum Thema Führung über Distanz? Wir brauchen etwas zu Remote Leadership! Home-Office – wie kann das gelingen? Was haben Sie zu virtueller Führung? U.a.m.

Natürlich gibt es ein paar Führungsleistungen, die speziell den Umstand berücksichtigen, dass es einen Unterschied macht, ob man jemanden persönlich gegenübersteht oder anderen virtuell begegnet. Sie müssen auf eine bewusste Gestaltung einer nachhaltig tragfähigen Führungsbeziehung unter diesen Umständen abzielen.

Voraussetzung dafür ist aber: Führung. Auch wenn sich die Fragen etwas geändert haben – die Antworten sind im Wesentlichen immer noch gleich.
Führung ist immer das Ergebnis einer ex-post-Betrachtung. Führung ist eine nachträgliche Erklärung für das Verhalten von Menschen. Maschinen kann man steuern, Menschen nicht. Insofern funktionieren simple Kausal-Logiken (wenn A, dann B) nur sehr bedingt. Darüber hinaus ist Führung ein zirkulärer Prozess – Führung braucht immer Personen, die führen und Personen, die folgen. Das wechselt mitunter ganz schnell.
Und doch gibt es ein paar tragende Säulen, auch wenn Führung immer im Kontext der Zeit zu sehen ist und damit nie wert- bzw. ideologiefrei betrachtet werden darf.

Führung ist – wie eh und je – vor allem eine Frage des Mindsets, der persönlichen Haltung zu sich und anderen und deren Ausgestaltung. Grundlegende Themen in diesem Zusammenhang sind etwa

  • Menschenbilder (etwa Theorie X vs. Theorie Y, Carol Dwecks fixed vs. growth mindset …),
  • persönliche Wirklichkeitszugänge und deren permanenter Abgleich mit seinem Umfeld (Stichwort: Feedback)
  • Führung und Führungsverständnis (Management & Führung, Organisationsverständnis und -dynamiken, Führungsleistungen etc.)
  • Vertrauen & Kontrolle – bewusste Gestaltung von Beziehungen, Fehlerkultur
  • Lernen & Entwicklung
  • Motivation, Leistung und Leistungskultur – Autonomie, Purpose, persönliche Meisterschaft
  • Erwartungs- und Zielmanagement

u.a.m.

Wenn wir uns im Organisationskontext bewegen, wird niemand von uns umhinkommen, sich mit diesen Fragestellungen auseinanderzusetzen. Aber ohne diese Basis wird es schwierig, sich neu auftauchenden Fragen zu nähern, egal, ob es sich um Führung im virtuellen Kontext, um Digitalisierung, um [bitte aktuelle Buzzwords hier einsetzen …] handelt.

Wollte man sich bspw. dem Thema Remote Leadership oder virtuellem Führen professionell nähern, wird man nicht umhinkommen, sich intensiv mit den Themen Vertrauen, Transparenz, Empathie und Feedback auseinanderzusetzen. Sie bilden wie bisher einen mentalen Rahmen, bedürfen aber gerade jetzt gemeinsam festgelegter Vereinbarungen. Die größten Herausforderungen in der virtuellen Zusammenarbeit sind, den persönlichen Kontakt zueinander herstellen & halten sowie den Informationsfluss und Workflow organisieren. Als hilfreich hat sich herausgestellt:

  • für klare Regeln sorgen
    • Zeitvereinbarungen – vom Check-in über gemeinsame Sync-Meetings bis zum Wissen, wann wer wie verfügbar ist …
    • Verbindliche & konsequente Nutzung vereinbarter Werkzeuge
  • permanente Kommunikation sicherstellen
    • technische Infrastruktur (Video-Konferenz-Tools, Chat-/Messenger-Services, Dokumentenverwaltung u.a.m.)
    • organisatorische Infrastruktur (synchrone/asynchrone Kommunikationsstrukturen, daily stand-ups, (Sub-)Team-Meetings, soziale Interaktionen etc.)
    • Führungskommunikation (Erwartungsmanagement, 1:1-Meetings, Ziele setzen, Delegation, Fairness, Arbeitslast/Belastung etc.)
  • Arbeitsstrukturen vereinbaren
    • Klarheit bezüglich Art und Weise der Zusammenarbeit, Zuständigkeiten/Verantwortlichkeiten, präzise Aufgabenstellungen, verbindliche Abläufe, definierte Termine, Umgang mit Ergebnissen/Zielabgleiche etc.

So weit, so bekannt.
Die Antworten hätten zu Einsteins Zeiten zwar noch nicht gepasst, haben sich aber über die letzten Jahrzehnte nicht sehr verändert. Und sie werden sich auch in der Zukunft nicht sehr verändern. Zwar verschieben sich die Nuancen, aber das, was bleiben wird, ist die bewusste Gestaltung der Beziehung zu sich selbst und die Gestaltung der Beziehung zu anderen – immer unterstellend, dass man an einer gemeinsamen Zukunft interessiert ist.

Wie schnell sich Nuancen verschieben können, haben die letzten beiden Jahre gezeigt. Freilich werden die Herausforderungen facettenreicher, aber im Grunde lautet die Frage noch immer: Wie muss Führung aussehen, dass sie in den (jeweils geltenden) Arbeitswelten wirksam ist?
Angenommen, es bräuchte künftig etwas mehr an

  • mutigem Vorangehen – besonders in unsicherheitsbehafteten Situationen
  • kompetenten Umgang mit Ambiguität – Akzeptanz des einen UND des anderen
  • Agilität (etwa im Sinne von Stand- und Spielbein – also leichtfüßig und rasch auf etwas reagieren können),
  • konsequenter Achtsamkeit in der Leistungserbringung
  • Gewonnenes-Loslassen und Neues-Gewinnen
  • Bescheidenheit (im Sinne von: ich<wir)
  • (Selbst-)Reflexion, eine Fehlerkultur gestalten (und bei sich anfangen ...), Sich-in-Frage-stellen-Können etc.
  • Lernbereitschaft und aktives, permanentes Lernen
  • Übung in aktiver Empathie – emotionale und kulturelle Intelligenz

u.a.m., dann lägen die wesentlichen Antworten darauf schon auf dem Tisch – wir müssen sie nur mit Leben füllen.

Vielleicht eine Hilfe dabei: In unserer Expedition Führung adressieren wir sowohl die Basis-Kompetenzen von Führung als auch die aktuellen Herausforderungen. Ihr Einsatz: Mut, Neugierde, Abenteuerlust, … Ihr Gewinn: In jeder Hinsicht – bereichernd und erhellend. Be prepared to be surprised …

 

Bild: Unsplash