New Work 2.0 – Vom »War for Talents« zur »Gleichwertigkeit der Talente«

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#Beratungssplitter Nr. 49
Von Clemens Stieger

Vor rund 25 Jahren wurde der »War for Talents« propagiert, der zu einem »Employer Branding« führte, in dem es darum ging (und geht), die High Potentials ins Unternehmen zu locken – bevor es die Mitbewerber tun. Kriege sind aber eine denkbar schlechte Voraussetzung für eine Unternehmenskultur, weshalb ich einen neuen Weg als notwendig erachte: Es geht darum, die Talente als gleichwertige Partner zu sehen und ernst zu nehmen. Zufriedenheit statt Krieg.florian klauer nptLmg6jqDo unsplash 200x200

Der Begriff »War for Talents« ist noch immer sehr gängig, obwohl er die Entstehung schon lange zurückliegt. Zum ersten Mal wurde er 1997 in einer Studie von McKinsey & Company verwendet. Mit dem Schlagwort wurde die zunehmende Schwierigkeit von Unternehmen beschrieben, geeignetes qualifiziertes Personal zu finden. Um freie Stellen passend zu besetzen, fände ein Kampf zwischen den Unternehmen um die besten Nachwuchskräfte, die sogenannten High Potentials, statt. Nach außen war damit dann auch die Geburtsstunde von »Employer Branding« markiert, wo es darum geht, die eigene Marke zu stärken und sich gegenüber potenziellen Bewerbern als passender(er) und attraktiver(er) Arbeitgeber darzustellen. Nach innen heißt die Reaktion »Mitarbeiterbindung« (siehe Beratungssplitter #48).

Die Talente haben gewonnen

Das ist nun knapp 25 Jahre her – und ich frage mich: Was hat sich getan? Man kann das recht gut mit dem Spruch zusammenfassen: »Der ‚War for Talents‘ ist vorbei. Die Talente haben gewonnen«. Das klingt wie ein Witz, bringt die Situation aber auf den Punkt: Der Arbeitsmarkt hat sich umgedreht. Die Talente sind die »echten Arbeitgeber«: sie bieten ihre kostbare Kompetenz an, Unternehmen sind die »Arbeitnehmer*innen«. Mitarbeiter*innen und Bewerber*innen wählen aus, nicht mehr die Organisationen (siehe Beratungssplitter #47).

Welche Ableitungen kann man treffen:
  • Die »Kriegs-Metapher« ist zu beenden. Sie war nie hilfreich, weil sie eine Gegnerschaft betont. Einerseits gegen alle anderen Unternehmen: man muss schneller, mehr bieten, größere Oberflächen, größere Stände auf Messen haben, etc. Aber eigentlich auch gegen die Mitarbeiter*innen selbst: Diese muss man verführen, locken, austricksen. Um sie wird gekämpft. Sie selbst sind dabei eher passiv und nehmen das, was attraktiver ist.
  • Wenn die Talente gewonnen haben, ist klar, dass man sich nun am „Gewinner“ ausrichten muss. Mitarbeiter*innen und Bewerber*innen können Bedingungen diktieren. Sie lassen sich nicht (mehr) alles gefallen. Es macht also Sinn, sich als Unternehmer*in, in der Personalsuche, als Führungskraft etc. »in die Schuhe der Bewerber“ zu begeben, um sie nicht schon am Beginn zu verlieren. Für Kunden tun wir das schon lange (»Customer Journey«), bei Bewerber*innen stehen wir eher erst am Anfang (»candidate journey«)
  • Talente sind nicht nur die Bewerber! Es ist ein großer Denkfehler im Talentmanagement, den Blick nur auf potenzielle Mitarbeiter*innen außerhalb des Unternehmens zu legen. Talentemanagement meint das gesamte Humankapital, sowohl am Arbeitsmarkt als auch im Unternehmen. Man kann jede*n Mitarbeiter*in auch als Talent sehen. Schließlich kann jede*r sich entscheiden, das Unternehmen wieder zu verlassen. Und dann geht das Spiel wieder von vorne los…
Was kann ein Unternehmen mit anderer Logik also tun?

Die zentrale Schlüsselfrage ist: Was ist das, was wir als Unternehmen bieten?
Diese Frage ist nicht neu, sondern eigentlich die Standardfrage des »Employer Brandings«. Wenn man noch einen Schritt weitergeht, wäre das die »Employee Value Proposition«: Welchen Nutzen können Mitarbeiter*innen aus der Verbindung mit dem Unternehmen ziehen?

Denken wir das doch im Sinne von »2.0« nochmals weiter, also mit einem möglichen Paradigmenwechsel:
Was wäre, wenn wir die aktuelle Situation wie oben beschrieben als Anlass nehmen, fundamentale Veränderungen vorzunehmen? Wie müssen wir uns als Unternehmen ändern, damit Bewerber*innen kommen und Mitarbeiter*innen bleiben? Damit ist nicht die Oberflächenstruktur gemeint – also Arbeitsplatz, Obstkorb und fringe benefits. Gemeint sind Strukturen, Abläufe, Prozess- und Unternehmenskultur.

Im Personalmanagement hat es immer geheißen, solange die Basis-Personal-Prozesse nicht laufen, braucht man sich um andere Prozess wie Entwicklung, Innovation und Engagement nicht zu kümmern. Sobald ein Gehaltszettel nicht pünktlich kommt und das Gehalt nicht am Konto ist, hat man nichts mehr zu erwarten. Aber das sind nur »Hygienefaktoren« – notwendig, aber nicht ausreichende Bedingungen. Es ist erstaunlich, wie viel da noch schief läuft…

Vom Faktor »Mensch« als Not-Wendung

Der nächste Hebel ist Führung. Das ist auch ein alter Hut – »Mitarbeiter*innen folgen Unternehmen, verlassen aber Führungskräfte« –, aber passiert ist dazu viel zu wenig. »Soziopathen im Nadelstreif« kann man sich als Unternehmen nicht mehr leisten. Wir alle verdienen »gute Führung« und nicht bloß Vorgesetzte. Hier anzusetzen ist dringend nötig, der Spielraum und die Toleranz sind sehr gering.

Zumindest einen dritten Hebel gibt es auch noch. Und da wird es spannend: Das Thema »New Work« ist in der Branche angekommen. Der Pandemie sei es gedankt, dass so gut wie alle Mitarbeiter*innen »Blut geleckt« und die Chancen (aber auch die Grenzen) von mobilem Arbeiten, Homeoffice, flexiblen Strukturen, etc. erlebt und auch teilweise zu schätzen gelernt haben. Wir haben beispielsweise erlebt, dass eine Krankschreibung durch den Hausarzt auch per Telefon geht – und das hat aufgezeigt, wie sinnentleert die bisher gelebte Praxis war (im kranken Zustand in die Praxis gehen, im Wartezimmer warten etc.)

Einfach »back to normal« will niemand mehr. Wir brauchen also einen 2.0-Ansatz, bei dem die bekannten »Baustellen« im Unternehmen mutig in Angriff genommen werden. Neue Methoden und Ansätze (z.B. Artificial Intelligence, Digitalisierung, etc.) werden uns helfen, mühsame, demotivierende Routine-Tätigkeiten wegzubekommen. Upskilling ist gefordert und bietet viele neue Möglichkeiten.

Es gilt, den Humanfaktor aufblühen zu lassen und den Menschen zu vertrauen, dass sie Großes schaffen können, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Damit kommen wir dem Szenario näher, neu zu arbeiten und Arbeit neu zu gestalten (»New Work«). Aber nicht nur, weil wir so human sein wollen, sondern weil es einfach not-wendig ist – eine Not wenden kann, die ständig zunimmt.

 

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